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Maria von Linden Calw Gymnasium

"Unsägliche Folter, skrupellose Ausbeutung", Bericht über den Zeitzeugenabend des Kulturcafés im Schwarzwälder Boten

Erstellt von Jeanette Tröger |

Keine leichte Kost war der Zeitzeugen-Abend im Kulturcafé des Maria von Linden-Gymnasiums (MvLG). Konstanze Helber und Karla Fischer, beide zu DDR-Zeiten inhaftiert im berüchtigten Frauen-Knast Hoheneck im sächsischen Erzgebirge, berichteten von den grausigen Zuständen und demütigenden Repressalien während ihrer Haftzeit als politische Gefangene.

 

Calw-Stammheim. Im Interview mit den Lehrern Ute Hager und Markus Leukam erzählten die Frauen darüber hinaus aus ihrem Leben bis zu ihrer Verhaftung und wie sie nach dem Freikauf durch die Bundesrepublik Deutschland seither im "Westen" leben.

Konstanze Helber, geboren in einem Dorf bei Jena, hatte eine typische DDR-Kindheit, war bei den Jung- und Thälmann-Pionieren und trug das blaue Hemd der FDJ. Als Jugendliche hat sie sich dem System mehr und mehr verweigert, durfte kein Abitur machen und konnte somit auch nicht studieren. Sie hat sich eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester erkämpft und mehrere Jahre in diesem Beruf gearbeitet.

Karla Fischer ist in Bitterfeld aufgewachsen und war nie bei den Pionieren oder in der FDJ. Ihr Vater stammt aus Essen und kam als Krupp-Mitarbeiter in die DDR. Sie hat sich schon in der Schule dem Drill verweigert, hatte jedoch das Glück, in Dessau studieren zu dürfen. Sie arbeitete gern mit geistig und körperlich Behinderten – "weil die ehrlich sind" – und hatte den Wunsch, nach Afrika zu gehen, um dort zu helfen.

"Die beiden Frauen wollten etwas, was für uns heute selbstverständlich ist: Sie wollten Freiheit", sagte Leukam zu Beginn. "Dieser brennende Wunsch führte zu einer Zäsur in ihrem Leben, zu einem Leben vor und nach Hoheneck."

Bei Helber entstand der Wunsch, die DDR zu verlassen, nach und nach ab 1968. Die Ereignisse des Prager Frühlings und den Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Erfurt verfolgte sie auch im Westfernsehen und stellte in der Schule unbequeme Fragen. Sie war dann im Visier der "Stasi" (Ministerium für Staatssicherheit). Im Urlaub in Bulgarien lernte sie einen jungen Mann aus dem Westen kennen und lieben, den sie danach immer wieder in Ostberlin getroffen hat. Zwei Ausreiseanträge wurden abgelehnt. Ihr Freund organisierte über eine Fluchthilfeorganisation ihre Flucht im Kofferraum eines Autos. An der Grenze wurde sie entdeckt und nach fünf Monaten Untersuchungshaft 1979 in Hoheneck eingewiesen. Heute weiß sie, dass diese Organisation schon von der Stasi unterwandert war und ihr heutiger Mann 25 000 Deutsche Mark für den Fluchtversuch bezahlt hat.

Toilettengang vor den Augen anderer

Fischers Vater brachte einen Studenten aus Westafrika mit nach Hause. Die junge Frau und er wurden ein Paar und haben einen gemeinsamen Sohn. Der Wunsch, zusammen nach Afrika zu gehen, wurde immer stärker, aber erst als ihr Sohn 18 Jahre alt war, planten sie die Ausreise über Ungarn. Sie wurden dort 1982 festgenommen und alle drei zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch Fischer weiß heute, dass die Stasi-Krake auch in Ungarn Menschen dafür bezahlt hat, "Republikflüchtlinge" zu verraten.

Bevor die beiden Frauen über ihre Haft in Hoheneck berichteten, sah das Publikum den Kurzfilm "Kaputt", der die dortigen Haftbedingungen thematisiert und die Zeitzeuginnen Gabriele Stötzer – sie war 2014 als Hesse-Stipendiatin in Calw und zur gleichen Zeit wie Konstanze Helber in Hoheneck inhaftiert – und die Berlinerin Birgit Willschütz zu Wort kommen lässt. Monochrom-graue Zeichnungen verbildlichen die traumatischen Erinnerungen an die politische Gefangenschaft in überfüllten Zellen, die Zwangsarbeit und die skrupellose Ausbeutung.

"Ich habe nach dem Film ein emotionales Problem", gestand Helber und bat um Verständnis, dass sie die Schilderungen ihrer Haftzeit ablesen möchte. Dass Hoheneck noch schlimmer war, habe sie sich nach der unerträglichen U-Haft nicht vorstellen können. 48 Frauen, politische Gefangene zusammen mit Schwerkriminellen wie Kindsmörderinnen, waren in einem "Verwahrraum" untergebracht. Es gab zwei Toilettenschüsseln und zwei Waschtröge zusammen in einem Waschraum. Heißt: Toilettengang und Waschen passierte unter den Augen aller anderen. Rüde und menschenverachtend war der Ton untereinander und des "Erzieher" genannten Wachpersonals.

Dem Arbeitskommando "Planet" zugeordnet, musste Helber im Akkord in acht Stunden 144 Bettbezüge für westdeutsche Versandhäuser wie Neckermann, Quelle oder Otto nähen. Der "Super-Gau" war die Arrestzelle, weggeschlossen von der Toilette. Oder die unsägliche Folter in der Wasserzelle, in der die Person nackt an der Wand festgekettet und die Zelle bis zu deren Hals mit kaltem Wasser gefüllt wurde.

Fischer war fünf Jahre später als Helber in Hoheneck. Sie bestätigte deren Schilderungen und wusste von noch Grausigerem und von den Repressalien, was den Kontakt nach außen anging, zu berichten.

Beide Frauen sprachen über ihre Abschiebe- und Freikauf-Haft – "vom Gefängnis ins Gefängnis" –, dass aller Besitz dem Staat DDR vermacht werden musste, dass Häftlinge sowohl mit Devisen von der BRD freigekauft wurden, aber fast noch öfter mit Rohstoffen und wie die Überführung in den Westen ablief.

Konstanze Helber hatte keine Startschwierigkeiten in Westdeutschland, ihr Freund hat auf sie gewartet und sie 1979 geheiratet. Sie lebt seit ihrer Übersiedlung in Rottenburg und hat sich erst ab 2004 mit ihrer Geschichte beschäftigt. "Und dann habe ich auch geredet." Sie ist als Zeitzeugin aktiv im von ihr mit initiierten "Freundeskreis Süddeutscher Hoheneckerinnen". Auch Fischer hat lange geschwiegen und gehört mittlerweile auch zum Freundeskreis. Sie lebte mit Mann und Sohn zunächst mehr als ein Jahr lang in einem Übergangswohnheim und hat zehn Jahre in Stetten im Remstal in einer Einrichtung für Mehrfachbehinderte gearbeitet. Die Familie lebt heute in Stuttgart. Fischer kümmert sich um ihren Sohn, der nach einer missglückten Kopfoperation im Rollstuhl sitzt.

Karla Fischer und Konstanze Helber erzählten ihre an die Nieren gehenden Geschichte zum ersten Mal gemeinsam. Das Publikum hatte viele Fragen, unter anderem dazu, was mit den Kindern der Frauen während ihrer Haft und auch nach dem Freikauf oder der Abschiebung passierte.

Konstanze Helber (links) und Karla Fischer sprachen über ihre Erlebnisse im Frauen-Gefängnis Hoheneck. Foto: Tröger