"Ohne Titel bekommen Sie mich nicht".
Artikel im Schwarzwälder Boten von Roland Stöß vom 27.04.2017
Calw-Stammheim. Seit mehr als 200 Jahren findet das Lustspiel "Die deutschen Kleinstädter" stets neue Anhänger. Die Möglichkeit, August von Kotzebues Kult-Theaterstück nochmals zu sehen, besteht am heutigen Freitag im Forum des Maria von Linden-Gymnasiums (MvLG). Die Theater AG der Schule lädt dazu ein.
Es hat sich gelohnt
Nach der Premiere am Mittwochabend waren sich Zuschauer und Schauspieler einig: Es hat sich gelohnt, bei diesem gesellschaftskritischen Stück dabei zu sein. Hat doch das Gespielte bis heute nichts von seiner Aktualität verloren. Reflektiert man sich und die heutige Gesellschaft, erkennt man sich.
Der Zuschauer erlebte Kurzweil und staunte, mit welcher Brillanz und Hingabe die jungen Protagonisten auftraten. Die Schauspieler wiederum erfuhren am eigenen Leibe wie es ist, "auf den Brettern der Welt zu stehen". Und sich konsequent einer Leidenschaft zu widmen. Der Zuschauer konnte das in jedem Satz, in jeder Szene erleben, ja mitfühlen, wie die Schauspieler Gestik und Mimik passend eingesetzt haben. Die Körpersprache war immer authentisch; der Situation entsprechend. Die Akzentuierung der gesprochenen Sätze natürlich, nie gekünstelt. Alle spielten mit der gebotenen Leidenschaft und mit viel Gefühl.
So war man auch schnell als Zuschauer im Thema. Die spannende Frage war, ob die Liebe gegen den Spießbürger-Mief einer kleinen Gemeinde eine Chance haben wird. Man erkannte, wie sich eine Gemeinschaft im Kollektiv verbiegen und sich selbst anlügen kann. Wie hintenrum gelästert und vorneherum geheuchelt wird. Wie alles getan wird, nur, um dem Habitus, als etwas Besonderes zu gelten, zu genügen.
Fehlerfrei präsentiert
Das Titelgehabe prägte einen großen Teil des Stückes. Frau Oberfloß- und Fischmeisterin, Frau Stadt-Akzise-Kassaschreiberin, Herr Bau-, Berg- und Weg-Inspektor-Substitut, Herr Vize-Kirchenvorsteher und die Untersteuereinnehmerin waren Ausdruck dieser Absurdität. Ist es heute anders, war man geneigt, zu fragen. So war es sogar für die von Sperling umworbene Sabine wichtig, zu ihrer wahren Liebe (Olmers) zu sagen: "Ohne Titel bekommen Sie mich nicht."
Bewundern kann man die jungen Schauspieler auch deswegen, wie diese das gesamte (!) Textaufkommen fehlerfrei und mit freudvoller Hingabe präsentierten.
Über zwei Stunden hat das Team unter der Obhut des Theater AG-Leiters (wieder ein Titel) Michael Flach Werbung in eigener Sache gemacht. Denn die jungen Protagonisten Lea Haufler, Jerome Michel, Max Ankenbrand, Katharina Kolbe, Lilli Stoffels, Isa Jauch, Kira Feinauer, Nele Wagner, Linus Kühnen sowie die vielen Helfenden vor und hinter der Kulisse wirken nur bis zum Abitur in der Theater AG mit. Deswegen sind immer wieder neue Interessenten in dieser AG vonnöten und willkommen.
Der frenetische Beifall am Premieren-Mittwoch sollte manchem dazu Lust gemacht haben.
Wer bei der Premiere diesem schönen Spektakel fernbleiben musste, erhält heute, am Freitag eine zweite Chance, dabei zu sein. Das Stück beginnt um 20 Uhr. Ab 19.30 ist das Forum des MvLG geöffnet. Für Getränke und Brezeln für den kleinen Hunger ist gesorgt.
