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Maria von Linden Calw Gymnasium

"Wie ist die Stimmung bei den Abiturienten?", Zeitungsartikel im Schwarzwälder Boten am 05.05.2020

Erstellt von Leah Strauß |

Fast zwei Monate lang waren die Schulen geschlossen. Jetzt geht es zumindest für die Abschlussklassen weiter. Normal wird ihr Schulabschluss jedoch nicht sein, das ist allen klar. Der Schwarzwälder Bote hat sich bei angehenden Abiturienten umgehört und ein Stimmungsbild eingefangen.

Als sich die Abiturienten in den Calwer Gymnasien am 13. März aus der Schule verabschieden, denken die meisten noch, das Wiedersehen werde wohl nicht lange dauern. Fast zwei Monate später schimmeln vergessene Vesperbrote vor sich hin und die Liste mit den Tanzpaaren für den Abiball an der Pinnwand des Oberstufenraums hat ihren Sinn schon lange verloren. Für die Schüler, aber auch für die Schulleitungen kam die Schulschließung überraschend, doch spätestens jetzt ist allen klar - der Abiturjahrgang 2020 wird anders sein, als alle davor. Der Schwarzwälder Bote hat mit Abiturienten aus Stammheim und Calw sowie deren Schulleitung Kontakt aufgenommen, um ein Stimmungsbild einzufangen.

Von der Coronakrise besonders beeinträchtigt wird natürlich die Abiturvorbereitung – statt täglichem Unterricht und gemeinsamen Vorbereitungskursen, sind die Schüler jetzt größtenteils auf sich alleine gestellt. Bei den meisten Abiturienten herrschen gemischte Gefühle über die Frage, ob sich die Ausnahmesituation positiv oder negativ auf die Vorbereitungsphase auswirkt. Die zusätzliche Zeit scheint die große Unklarheit, den fehlenden Lerndruck durch den Schulalltag und das Gefühl der Hilflosigkeit nicht aufzuwiegen. Während die außergewöhnlichen Monate vor ihrem Abitur für die Schülerin Nina einfach eine andere Art der Abi­vorbereitung seien, leidet bei vielen die Motivation und Konzentration, auch aufgrund psychischer Faktoren. Einerseits bietet die Krise viel zusätzliche Zeit für Entspannung und Hobbies, wie Manuel berichtet: "Zwar leidet meine Motivation, Produktivität und gute Laune unter der Krise, dafür schenkt mir die Zeit aber auch die Chance, Neues auszuprobieren, mehr Zeit für mich zu nehmen, in die Natur zu gehen, Sport zu machen, was wiederum mein psychisches Wohlbefinden und meine Motivation fördert, vor allem der Faktor Stress, der praktisch von heute auf morgen weggefallen ist, entlastet mich auch sehr."

Auch junge Leute gehören zur Risikogruppe

Andererseits berichten viele Schüler von einem Gefühl der Einsamkeit, auch durch mangelnden körperlichen Kontakt, und Streit mit Familienmitgliedern, durch die unvermeidbare räumliche Nähe. Besonders die Sorge um ihre Eltern und Großeltern beschäftigt einige Schüler sehr. Sophia betont, viele Schüler hätten gerade sicherlich andere Probleme als ihr Abitur zu schreiben. Noch schwerer trifft die Isolation junge Menschen mit psychischen Vorerkrankungen. Eine Schülerin, die seit Jahren mit Depressionen zu kämpfen hat, erzählt, diese haben sich in den vergangenen Monaten verstärkt. Alle Aktivitäten, zu denen sie im normalen Leben gezwungen sei, die sie aus ihrem Loch der Depression ziehen würden, seien jetzt auf einen Schlag einfach weg. Wie viele ihrer Mitschüler sehe sie morgens oft keinen Grund, sich aus dem Bett zu quälen.

Doch die Abiturienten müssen sich nicht nur Sorgen um das Leben ihrer Eltern machen, sondern teilweise auch um ihr eigenes. S., die ihren Namen nicht nennen möchte, ist eine der Abiturientinnen, die selbst zur Risikogruppe gehören – aufgrund einer Asthmaerkrankung, einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung und einem generell stark geschwächten Immunsystem besteht bei ihr ein deutlich höheres Risiko für einen schweren Covid-19 Verlauf. Junge Menschen, die Teil der Risikogruppe sind, scheinen oft vergessen zu werden. Doch besonders in einer Situation wie dieser, in der S. tatsächlich manchmal Angst um ihr Leben habe, wünsche sie sich mehr Verständnis gegenüber jungen kranken Menschen. Die drohende Gefahr einer Corona-Infektion und einen dadurch verursachten früheren Tod habe sie mittlerweile aber sogar schon akzeptiert. Wichtig wäre ihr aber vor allem, dass sie und andere Jugendliche mit Vorerkrankungen nicht bemitleidet, sondern ernst genommen und verstanden werden. Es sei schlimm, wenn ihre Probleme von anderen heruntergespielt werden, nur weil es nicht in deren Weltbild passe, dass es junge, kranke Menschen gibt, erzählt sie.

Für viele scheint das unverständlich – doch auch S. erscheint seit Montag wieder zum Präsenzunterricht in der Schule. Ihr sei das hohe Risiko bewusst, dem sie sich damit aussetzte. Doch sie wolle nicht immer weiter darauf aufmerksam gemacht werden, wie "abnormal" sie sei, weil sie jung und krank ist. Natürlich fühle sie sich, mit dem Gedanken an das erhöhte Infektionsrisiko nicht wohl, räumt sie ein. Doch die Schülerin hofft auf eine kleine psychische Entlastung durch ein wenig Normalität und fürchtet außerdem einen Nachteil in Bezug auf ihr Abitur, sollte sie in diesen zwei Wochen vielleicht essentiellen Unterricht verpassen. Ähnlich geht es auch anderen Schülern. Viele machen sich Sorgen, doch trotzdem wollen sie alle zum Unterricht erscheinen.

Selbstständigkeit ist für viele Schüler herausfordernd

Auch Birgit Scholl, Schulleiterin des Maria von Linden- Gymnasiums (MvLG) in Stammheim zeigt sich erleichtert, dass wenigstens noch zwei Wochen Präsenzunterricht zur Vorbereitung auf die schriftlichen Prüfungen möglich seien. Die geforderte Selbstständigkeit sei für viele Schüler herausfordernd. Und wie die Schüler sehnt sich natürlich auch die Schulleitung nach einem Stück Normalität. Die Schulleitung des Hermann Hesse-Gymnasiums (HHG) äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht zu der Anfrage des Schwarzwälder Boten.

Bildung gehe vor, schreibt der Schüler Manuel, beim Gedanke an die Schulöffnungen. Doch sogar Schüler, die viel Vertrauen in die Entscheidungsträger beweisen, zeigen einen Wunsch nach mehr Transparenz und Einheit zwischen den Bundesländern, was die politischen Entscheidungen betrifft. Andere Schüler zeigen offenes Unverständnis für die Durchsetzung der Schulpflicht im Kontrast zu den privaten Kontaktbeschränkungen. Er sei nicht bereit, das Leben seiner Eltern für ein hektisch nachgeholtes Abitur zu riskieren, schreibt ein Abiturient. Auf Social Media, wie auch im persönlichen Gespräch, finden sich auch immer wieder Diskussionen über ein Durchschnittsabitur oder eine freiwillige Prüfung, um das Infektionsrisiko zu minimieren und den psychischen Druck auf die Abiturienten nicht weiter zu steigern.

Scholl hält diesen Vorschlag aber mittlerweile für erledigt. Das Thema Infektionsgefahr scheint die Schüler zu beschäftigen – viele berichten von Angst vor einer zweiten Infektionswelle in Deutschland, Bedenken zur Anfahrt über ÖPNV oder Fahrgemeinschaften, Sorge um das Leben der vielen Lehrer, die zur Risikogruppe gehören. Einzelne fordern sogar eine Maskenpflicht in den Schulen. Die Schulleitung des MvLGs scheint sich dieser Sorgen bewusst zu sein und möchte alles mögliche tun, um das Infektionsrisiko so klein wie möglich zu halten. Hand- und Flächendesinfektion sei vorhanden, die Gruppengröße pro Raum sei auf zwölf Schüler begrenzt und ein Wegeplan sei erarbeitet worden. Scholl ist zuversichtlich, dass die Schüler die ausgehändigten Verhaltensregeln befolgen und verantwortungsbewusst mit der Situation umgehen werden.

Auch Abiball, Abifahrt und Abistreich wurden von Seiten der Schüler selbst aufgegeben oder offiziell abgesagt. Innerhalb der Abschlussstufe herrscht Verständnis dafür. Laut der Schülerin Eva sei die Absage dieser Veranstaltung sogar die einzig logische Entscheidung gewesen. Und obwohl fast alle die Maßnahmen als notwendig ansehen, trifft der Verlust der Abiturtraditionen trotzdem schwer. Am meisten sei es wahrscheinlich der intensive Abschied von Schulalltag, Lehrern und Schülern, der ihm rückblickend fehlen wird erzählt Manuel Rieß. Corona hätte dem Abiturjahrgang 2020 alles genommen, was das Erlebnis Abitur ausmache. Nur die Prüfungen seien ihnen geblieben, fasst S. die Gefühle vieler Schüler zusammen. Obwohl diese Sorgen unbedeutend wirken, im Vergleich zu einer möglichen Infektion und dem Tod Tausender Menschen, werde ihnen dadurch trotzdem das genommen, was für viele Schüler jahrzehntelang ein Ansporn war, durchzuhalten.

Schüler, Kollegium und Schulleitung versuchen aber alle das Beste aus der Situation zu machen und die Nachteile für alle in Grenzen zu halten. Denn schlussendlich vertrauen Schüler und Schulleitung, trotz aller Uneinigkeit, aufeinander und sehen, dass in dieser schwierigen Zeit alle nur das tun was sie können – ihr Bestmögliches.

Leere herrscht in der Aula des MvLG. Mit großem Abstand voneinander sind Stühle aufgestellt.